„Unser Land“ verändert sich so schnell! Oder nur unsere Region? Jedenfalls sind vor 5 Jahren, als wir in den Süden von Aserbaidschan gezogen sind, nur 2 Männer in der ganzen Stadt Fahrrad gefahren. Nun ist die Stadt gefüllt von Fahrrädern und sogar junge Mädchen fahren Rad! Seit Neuestem gibt es Berufskleidung für Reinigungskräfte im Supermarkt! Überhaupt, mehrere Supermärkte gibt es jetzt in der Stadt. Mit ihnen steigen die Preise für Lebensmittel. Der Basar ist immer noch der günstigste Ort zum Einkaufen.

Das Leben auf dem Dorf hingegen ist nach wie vor sehr einfach. Die Dörfler leben zumeist von dem, was sie selbst anbauen und füttern: Gemüse, Hühner in jedem Fall, manchmal noch Schafe oder eine Hand voll Kühe. Die Selbstversorger waren in der Pandemie klar im Vorteil.

Wer in der Stadt seiner Arbeit nicht mehr nachgehen konnte, bei dem sah das schon anders aus. Dank der PI-Corona-Hilfen für Aserbaidschan konnten wir einige Familien, die auf kleinstem Wohnraum versuchten, über die Runden zu kommen, kennenlernen, mit Lebensmitteln unterstützen und für die Verbesserung ihrer Situation beten. Und tatsächlich fand eine der Frauen im Juni einen Arbeitsplatz! Überglücklich ist sie, dass sie nun ihre zwei Schulkinder besser versorgen kann.

Die Pandemie hat ihre eigenen Veränderungen mit sich gebracht. Z.B. haben viele Leute Gefallen daran gefunden, nicht mehr Hochzeiten mit 300 und mehr Gästen zu feiern, bei denen man sich nicht selten in den Ruin verschuldet.

Hier gibt es kein super tolles Sozialnetz wie in Deutschland. Traditionell helfen sich Familienmitglieder gegenseitig. Aber dieses System bröckelt langsam bei immer mehr Familien. Konsum wird wichtiger als die weitläufige Verwandtschaft, die einem früher so nahe war. So verarmen immer mehr Menschen, vor allem ältere, denen die Entwicklungen und Reformen des Landes zu schnell gehen, die gar keine Chance haben, einen Arbeitsplatz mit den neuen Anforderungen zu finden. Die Anzahl der Arbeitsplätze hält sich sehr in Grenzen, die Bevölkerung wächst sehr schnell. Der überwiegende Teil der Bevölkerung in unserer Region ist verschuldet.

Manche Veränderungen erleichtern uns das Leben hier. Einkaufen zum Beispiel ist jetzt wie „zu Hause“.

Die aufbrechenden Familienbande und aufkommender Individualismus schleifen die Mauern und Hürden, die es bisher sehr schwer gemacht haben, Jesus offen nachzufolgen. Die Regierung erlaubt derzeit den Druck vieler neuer christlicher Bücher. Das ermutigt uns! Tatsächlich nehmen in dieser Oralgesellschaft nun auch mehr Leute mal ein Buch in die Hand als früher.

Das Niveau in den Schulen steigt mit neuen Lehrbüchern, fordert und fördert das Lesen. Unsere zwei großen Kinder gehen in die einheimische, staatliche Schule, unser jüngerer Sohn in den staatlichen Kindergarten. Wir sind also mittendrin in all den Veränderungen. Auch für die Lehrerinnen sind viele Veränderungen neu. Mit der Pandemie kamen online-Schultests. Per WhatsApp wurden die Eltern informiert, dass JETZT die Tests losgehen – 3 Fächer hintereinander wurden geprüft.

 Bei der Wiederöffnung der Schule wurde um 23:00 Uhr die neue Unterrichtszeit für den folgenden Tag durchgegeben – auch welche Kinder überhaupt kommen sollten und welche Fächer unterrichtet werden.

Sprache: Hier lernt man nicht nur eine Sprache, sondern gleich mehrere gleichzeitig. In manchen Familien ist russisch die gängige Umgangssprache, in anderen Talisch. Wir sprechen mit anderen Ausländern meistens Englisch, denn wir haben kein Russisch gelernt. Unsere Kinder wiederum sprechen mit allen anderen Kindern Aserbaidschanisch. So kommt es nicht selten vor, dass in einem Raum vier Sprachen gleichzeitig gesprochen werden – ganz schön ermüdend. Und wegen diesem Chaos passiert es manchmal, dass wir auf eine aserbaidschanische Frage aus Versehen mit sächsisch „Ne“ statt hochdeutsch „Nein“ antworten und dann verblüfft gefragt werden, ob wir auch Talisch sprechen – denn das aserbaidschanische Wort für „Nein“ ist „Yox“ [Joch; ch gesprochen wie bei Bach], das talische aber „Ne“ – wie Sächsisch!

Bibel: Vor fünf Jahren sind wir nach Aserbaidschan gezogen. Am Anfang haben wir einfach so weitergelebt, wie wir es von Deutschland gewohnt waren. Mittlerweile kochen wir neben deutschen auch aserbaidschanische Nationalgerichte und schaffen unsere Kinder im Sommer täglich nicht vor 10 Uhr ins Bett – weil man wegen der Hitze sowieso nicht eher schlafen kann.

Am Anfang haben wir wie Babys nur einen kleinen Radius um uns herum wahrgenommen. Nun sieht das anders aus und wir merken immer mehr, dass wir im ähnlichen Klima und in der ähnlichen Kultur, wie Jesus lebte, leben. Die Weinstöcke, Feigenbäume, Palmen und Maulbeerbäume in unserem Garten und Dorf erinnern uns täglich an die biblischen Geschichten.

Jesus war oft am Meer. Wir können das Meer bei gutem Wind auf dem Balkon rauschen hören. Jesus wanderte manchmal in glühender Sommerhitze, wo er mittags eine Frau am Brunnen traf. In der Sommerzeit ist es auch bei uns über den Mittag bei über 30 Grad im Schatten, unerträglich in der Sonne und es gibt Menschen, die ihr Wasser mit einem Eimer aus dem Brunnen hochziehen oder in den nächsten Ort zur Quelle laufen, um Wasser zu holen. Wir fahren mit dem Auto in ein ca. 10 Minuten entferntes Dorf, um Trinkwasser aus eben solch einer Quelle zu holen. Dieses Gespräch der Samariterin mit Jesus über Wasser, bei dem man keinen Durst mehr hat, also auch nicht mehr in der Hitze zum Brunnen laufen muss, können wir viel besser nachvollziehen, seit wir in Aserbaidschan wohnen. Wir kennen das unbefriedigende Gefühl, nicht satt zu werden.

Die Hitze verdirbt einem den Appetit, man hört auf zu essen und als nächstes hat man das Gefühl, nichts kann einen sättigen. Oder wie Nikodemus, ein Mann, der jede Stelle des Gesetzes von Mose kannte, aus Scham nachts zu Jesus zu Besuch kam, wo keiner ihn sah, weil er eben doch nicht alles verstand, was er an Wissen angehäuft hatte.

Was Scham in dem Kulturraum von Jesus und unserem bedeutet und mit sich bringt, darüber kann man zwar viel lesen, aber sich in dieser Kultur zu bewegen und selbst aufpassen zu müssen, wann man etwas wie sagt – in einer anderen Sprache – ist noch mal etwas ganz anderes. Wir sind Gott dankbar, dass er uns mit seinem Geist so gut leitet und vor mancher Dummheit bewahrt. Ohne ihn würden wir wohl von einem Fettnäpfchen ins nächste stürzen.

Der Weinstock: ein Weinstock muss beschnitten werden. Nun wächst der Wein in Deutschland viel langsamer als hier bei uns im subtropischen Klima. Hier wächst er wie Unkraut, schlängelt sich in einem Sommer vom Boden bis zu 15 Meter hoch in einen Baum. Verhindert mit seinen Ranken, die er wie die Gurkenpflanze hat, dass der Baum, auf den er klettert, sich selbst frei entfalten kann und zieht manchmal sogar dessen Äste zu Boden. Wir verstehen hier viel besser, warum es so notwendig ist, den Wein zu beschneiden. Der Wein zerstört Bäume, wenn er nicht beschnitten wird – und was wir jedes Jahr für Meter zurückschneiden! Schlechtes und was keine guten Früchte trägt, MUSS abgeschnitten werden, sonst zerstört der Weinstock alle umstehenden Bäume.